Marketingstrategie-Gespräch mit Jürgen Gosch
Von Sylvia Kernke – Aktualisiert am 02.11.2021
Bei meinem letzten Aufenthalt auf Sylt wollte ich der Faszination Gosch einmal auf den Grund gehen. Am ersten Abend war ich in Westerland, am zweiten Abend in List, am dritten Abend war ich in Wennigstedt zum Essen. Es ist Selbstbedienung angesagt, es ist viel zu voll und man muss Glück haben, überhaupt einen Platz zu erwischen, da keine Reservierung möglich ist. Und doch zählt ein Besuch bei Gosch zu einer Sylt-Visite unzertrennbar hinzu. Am vierten Abend traf ich Jürgen Gosch persönlich in der Lister Bootshalle.
Es folgte ein spannendes Gespräch unter Marketingexperten auf Augenhöhe. Er erzählte mir, wie alles anfing. Er sollte eigentlich eine Maurerlehre machen, dazu hatte er keine Lust. Am Lister Hafen hatte er den Fischhändlern geraten, Aal zu verkaufen. Diese hatten ihm anschließend erlaubt, selbst den avisierten Aal anzubieten. Gesagt, getan: er kaufte sich einen Korb und Aale, die er dann am Lister Hafen zum Verkauf anbot. „Am ersten Abend war ich schon schuldenfrei,“ so Gosch. Er hatte seinen „Return of Invest“ an diesem Tag bereits eingefahren. Es folgte ein Verkaufsstand mit Fischbrötchen, bei dem ihm seine Mutter sehr unterstützte. Und so wuchs und wuchs das Unternehmen stetig zu dem, was es heute ist.
Von wenigen Ausnahmen steht der mittlerweile 80jährige jeden Abend für seine Gäste und für sein Team an der Theke. Dort steht ein Schild „Reserviert für den Chef“.
Während wir ins Gespräch vertieft waren, ist er von vielen Menschen angesprochen worden. Ein Mann aus Bad Hersfeld berichtete ihm, dass Gosch ihm als Kind mal ein Fischbrötchen schenkte, was er bis heute nicht vergessen hat. Ein ehemaliger Mitarbeiter aus Polen kam, um Sylt und den alten Chef mal wieder zu besuchen. Ein Gast aus Berlin drückte seine Erschütterung aus, weil die Filiale am Kurfürsten Damm geschlossen hat. Er plauderte mit jedem Gast und gab allen das Gefühl einer besonderen Gastlichkeit.
Er berichtete mir, dass er jeden Tag eigenständig die Fische per Auktion in Dänemark bezieht, die am selben Tag in seinen Restaurants angeboten werden. Er ist noch immer selbst für die maßgeblichen Abläufe in seinem Unternehmen und für mittlerweile tausend Mitarbeiter verantwortlich. Er weiß, wie wichtig er für den Fortbestand seiner Betriebe ist. Das ist Fluch und Segen zugleich.
Ans Aufhören denkt er noch nicht, im Gegenteil, dieser Ausnahmegastronom und Selfmade steckt noch voller Ideen. Sein jüngstes Projekt zeigte er mir persönlich. Er hat aufgestockt. Ein Restaurant, welches nicht in der Hausfarbe „Rot“, sondern in „Blau“ gestaltet worden ist. „Der rote Hummer ist schon gekocht, der blaue Hummer steht für den lebenden Hummer“, erläuterte er nicht ohne Stolz. Wir plauderten über Vermarktungsstrategien und Marketing. Ich hatte ihm vorgeschlagen, dass er noch lebende Fische und Hummer integrieren solle, wenn dieses Restaurant für das Leben steht. Er meinte hierzu: „Mädchen, schau mal, ich hole das lebendige Meer durch die Fenster herein“, dabei wies er auf die riesigen Fensterfronten hin, bei denen man einen Rundumblick auf das Meer und den Hafen hatte. Durch die Dämmerung spiegelte sich das Meer und die Lichter in den riesigen Glasflächen. Da es bereits dunkel war, hatte er mich noch einmal für den nächsten Abend vor der Dämmerung eingeladen. Und so kam es, dass ich ebenfalls den letzten Abend auf Sylt wieder bei Gosch verbracht hatte. Für das neue Restaurant ging er gerade eine neue Speisekarte durch.
Wir gingen wieder die Treppe ins neue Restaurant hinauf. Jetzt konnte ich verstehen, was er meinte. Die Romo-Fähre fuhr gerade ein und man sah aus der Möven-Perspektive dieses Hafenareal mit dem Wasser im Überfluss. Ansonsten ist das neue Restaurant sehr zurückhaltend gestaltet. „Ich möchte, dass die Gäste hier ohne „Remmidemmi“ mit Freunden und Familie einen Tisch reservieren, feiern und in Ruhe genießen können.“ Es ist schon alles fertig, dieses Restaurant wartet nur noch auf die Gäste. Selbst die Dekoration ist schon platziert. Der beleuchtete Schriftzug „Jünne“ ist alles, was eine der vielen Wände ziert. „Jünne“ bedeutet auf Plattdeutsch „Jürgen“. Und selbstverständlich kann Jürgen Gosch auch Plattdeutsch sprechen. Vor allem spricht er die Sprache seiner Kunden und er weiß, was sich diese wünschen.
„Ich mache erst Weihnachten auf und lasse mir Zeit, um alles gut vorzubereiten.“ Er möchte eben, dass alles perfekt ist. Er ist penibel, sieht auf der neuen Theke einen Flecken und zückt das Geschirrhandtuch, um alles blitzblank zu putzen. Lediglich eine kleine Wand zu den Toiletten zeigt einige zurückhaltende Schwarz/Weiß-Fotografien. Zu sehen sind Stationen seines Lebens. Seine Mutter wird im Verkaufswagen gezeigt und ein Bild zeigt ihn mit seiner verstorbenen Frau. „Das waren die wichtigsten Frauen in meinem Leben.“ Ein Foto zeigt ihn als Gastronom des Jahres 2020. Ganz sicher eine wohlverdiente und längst fällige Auszeichnung, die er nicht ohne Stolz präsentierte. Eines der Fotos zeigt ihn singend, um seine Gäste zu unterhalten. Er hat immer alles gegeben. Er wird nachdenklich und zeigt mir Fotos von seiner Familie. Er hat zwei Söhne und eine Tochter. Der eine Sohn ist Architekt geworden. Der andere Sohn ist Meeresbiologe und hat erst kürzlich geheiratet. Die Fotos von der Hochzeit auf Sylt zeigen einen stolzen Vater. Die Tochter hat in Dubai Hotel- und Gastronomie-Management studiert. Er hat sie oft besucht und fährt heute noch gern in den Nahen Osten, um dort auszuspannen und sich inspirieren zu lassen. Die Tochter ist jetzt für den Standort Westerland zuständig.
Er weiß, dass es ein schweres Erbe ist, das alles mal fortzuführen. Aber auch dafür hat Jürgen Gosch schon eine Lösung, denn er ist im Begriff einen Geschäftsführer einzustellen, damit er sich etwas zurückziehen kann. Ich bin gespannt, ob es ihm gelingen wird, sich etwas herauszuhalten.
Jürgen Gosch für der Wand mit den Stationen seines Lebens
Alles ist schon fertig dekoriert und dennoch dauert es noch zwei Monate, bis das Restaurant eröffnet wird
Kreativer Umgang mit Krisen á la Gosch
Zurück an der Bar im Erdgeschoss bestellte er bei „Christian“, dem Bar-Mann eine Fischsuppe für Zwei. Ich entgegnete ihm, dass ich schon gegessen hätte. Beide lachten. Es kam eine kleine Verpackung, wie man Sie auf Fisch-Märkten für Shrimps o. ä. verwendet, darin war ein leckeres Schnapsgemisch, in dem drei klitzekleine Schrimps schwammen. Spitzbübisch berichtete er, dass er zu Beginn keine Konzession für einen Ausschank erhielt. „Was ist das für ein Restaurant, wenn man keine Getränke verkaufen kann?“ Also hieß es ab sofort „Fischsuppe“ und schließlich schwammen ja auch drei Krabben darinnen. Er wurde dann eingeladen, um zu dem Vorwurf, er verkaufe doch Alkohol, Stellung zu nehmen. Dem Gremium brachte er die Fischsuppe mit. Offensichtlich hatten diese Herren Humor, denn er erhielt eine offizielle Konzession. Wie er mit dieser Herausforderung umgegangen ist, brachte mich auf die Idee, ihm mein Buch „Krisen machen stark, wie Sie mutig neue Chancen nutzen“ zu überreichen. Er bedankte sich hierfür widerum mit seinem Buch und einer persönlichen Widmung. Wir haben „quasi“ zwei Rezeptbücher ausgetauscht, denn in seinem Buch sind zahlreiche Fisch-Rezepte zu finden. Und mein Buch, welches ich mit Rainer Hahne schrieb, ist ebenfalls ein Buch mit Rezepten aus der Krise und für einen chancenreichen Neubeginn.
Ich denke ich habe das Phänomen Gosch entlarvt: er ist Visionär, voller Leidenschaft mit dem was er tut, er ist Perfektionist und er ist ein nahbarer Spitzbube, den seine Ideen immer junghalten. Er ist authentisch, und im Fischverkauf macht ihm keiner was vor. Dies schätzen auch seine Mitarbeiter, denn er war mal einer von ihnen, hat sich vom Tellerwäscher zum Millionär hochgearbeitet. Gosch ist ein Vollblutunternehmer, der alles auf eine Karte gesetzt und sich darauf konzentriert hat, was er wirklich will und kann.
Gosch ist auf Sylt eine Legende, eine echte Institution.
Der Chef zeigt auf wichtige Details
Die Lichter spiegeln sich in den großzügigen Glasflächen
Der Lister-Hafen und die Dämmerung über dem Meer bieten ein stimmungsvolles Bild.
Jürgen Gosch beim Signieren seines Buches. Wir tauschten unsere Bücher aus
Reduzierte Linien bieten die Gestaltung
Mittendrin befindet sich ein großer offener Kamin
Prof.Dr. Sylvia Kernke im Gespräch mit Jürgen Gosch